Eine junge Frau kommt mit einem Schreiben vom Jobcenter, ein junger Mann mit einem Personalbogen von seinem zukünftigen Arbeitgeber, eine andere Frau zeigt uns ihre stark entzündeten Hand und fragt, ob sie damit einfach zu einem Hautarzt gehen kann, jemand braucht Unterstützung bei der Formulierung eines Lebenslaufes für eine Bewerbung… Ich bin im Einsatz bei der Flensburger Flüchtlingshilfe. Möglichkeiten, in dem Verein zu helfen, gibt es viele, zum Beispiel beim Frauentreff, Frühstückstreff im Tableau, im Kinderprojekt und in der offenen Anlaufstelle. Offene Anlaufstelle, das kann ich nicht, denke ich sofort, aber genau da sitze ich nun.
„In unserer Anlaufstelle zu helfen, ist längst nicht so voraussetzungsvoll, wie viele denken“, erklärt Tobias Kaiser, der von fast allen hier nur „Tobi“ genannt wird. Tobi ist der Ehrenamtskoordinator des Vereins. „In vielen Fällen geht es einfach darum, Sprachhürden zu überwinden oder beim Jobcenter, der Krankenkasse oder dem Anwalt anzurufen, um offene Fragen zu klären.“ Und dafür reicht es aus, Deutsch-Muttersprachler zu sein und das System ein wenig zu verstehen. Wie wertvoll das ist, erkenne ich schnell.
Im gemütlichen Wartebereich sitzen viele Menschen. Sie nehmen sich eine Nummer und warten, manchmal eine Stunde und mehr. Nicht einmal erlebe ich es, dass sich jemand beschwert. Ein Mann wartet zwei Stunden, weil der Anwalt, den wir für ihn anrufen sollen, gerade Mittagspause hatte, als er zum ersten Mal an der Reihe ist. Er freut sich, als es endlich klappt, bedankt sich bei uns.
Auch wenn viele Geflüchtete inzwischen gut Deutsch sprechen und auch größtenteils verstehen, bleiben ein Fachgespräch am Telefon und meist in schlimmstem Bürokratendeutsch verfasste Schreiben offizieller Stellen eine große Herausforderung. Dazu kommt die Sorge, durch eine falsche Angabe oder ein kleines Missverständnis am Ende große Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
In den meisten Fällen kann ich tatsächlich helfen. Ist eine Frage komplizierter, hake ich bei einem der erfahreneren Kolleginnen und Kollegen nach. In juristisch kniffligen Anliegen verweisen wir auf die offenen Sprechstunden, in denen ein Anwalt vor Ort ist. Hängen gelassen wird hier niemand – kein Hilfesuchender und kein Beratungs-Neuling.
Manchmal sind es auch die vermeintlich ganz einfachen Dinge, bei denen wir um Hilfe gefragt werden, zum Beispiel bei der Registrierung einer neuen SIM-Karte für das Smartphone. Ein Mann kommt mit seinen Unterlagen zu uns. Gemeinsam machen wir einen ersten Versuch, aber die Online-Anmeldung scheitert – ohne ersichtlichen Grund. Ich rufe die Hotline an. Eine Automatenstimme informiert mich über das Anmeldeprozedere des Mobilanbieters. Die Stimme spricht schnell, unendlich lange und unglaublich kompliziert. Irgendwann werde ich aufgefordert, mich für eine Ziffer zu entscheiden – je nachdem, welches Anliegen ich habe…
Ein Anruf bei einer Hotline ist schon für mich eine Herausforderung. Wie ist es dann erst für jemanden, der die Sprache, in der die Automatenstimme die Abläufe erklärt, nicht perfekt versteht? Es gibt keine Stopp-Taste, die Stimme lässt sich nicht zurückspulen und sie antwortet auch nicht auf Nachfragen. Um einen echten Menschen an den Apparat zu bekommen, muss ich den Automaten verstehen. Kann ich diese Hürde nicht nehmen, kann ich nicht telefonieren, auch nicht mit Verwandten und Freunden. Und ich habe keine Telefonnummer, die ich bei Behörden oder potentiellen Arbeitgebern angeben kann. Und schon wird aus einem einfachen Anliegen eine entscheidende Weichenstellung.
Am Ende weiß ich, dass nicht Fachwissen die Voraussetzung ist, um hier sinnvolle Unterstützung zu leisten. Es ist eher die Bereitschaft, sich auf andere Menschen einzulassen, einfach mal für sie zum Telefonhörer zu greifen und gemeinsam eine Aufgabe zu bewältigen.
Übrigens: Auch wer sich grundsätzlich gern für geflüchtete Menschen engagieren möchte, kann sich bei der Flensburger Flüchtlingshilfe beraten lassen.